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Nature Microbiology: Den "Urbakterien" auf der Spur

Archaeen besiedeln extreme Lebensräume, so auch den Verdauungstrakt von Wirbeltieren. Die verschiedenen Stämme sind spezifisch für den Wirt, wiesen jetzt ICC Water & Health Forschende gemeinsam mit internationalen Partnern nach.


Archaeon der Spezies Methanobrevibacter

Foto: Archaeon der Spezies Methanobrevibacter | © Berger/MPI for Developmental Biology, Tübingen

Archaeen sind einzellige Lebewesen, stehen am Anfang der Entwicklungsgeschichte und existieren somit bereits seit Milliarden Jahren. Dennoch entdecken Wissenschaftler_innen erst jetzt, im 21. Jahrhundert, immer neue Stämme – und zwar jene, die im Verdauungstrakt des Menschen und anderer Wirbeltiere leben. Einen Überblick über die artspezifische Besiedlung mit Archaeen liefert eine kürzlich erschiene Studie, an der Forschende des ICC Water & Health und vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie zusammenarbeiteten. Die Arbeit wurde am 26. Oktober 2021 in Nature Microbiology veröffentlicht.

 

Trinkwasserforschung und Mikrobiologie

 

Unser ICC Mitgleid Georg Reischer befasst sich seit Jahren intensiv mit der Frage, wie sich Verschmutzungen im Wasser messen und einem Verursacher zuordnen lassen. Verunreinigungen entstehen mitunter durch menschliche Abwässer, aber auch durch Nutz- oder Wildtiere. „Wenn wir fäkale Verunreinigungen finden, gilt es die Ursache dafür zu finden. Das gelingt uns zum Beispiel über Mikroorganismen, die spezifisch im Verdauungstrakt einer bestimmten Spezies vorkommen“, erklärt Georg Reischer. Dieses Verfahren wird als Microbial Source Tracking bezeichnet. Da die Zuordnung zu einem Verursacher oft gar nicht so einfach ist, haben sich die Wissenschaftler_innen auf die Suche nach neuen, spezifischen Markern gemacht. Bereits vor einigen Jahren startete die Kooperation von ICC Water & Health und dem Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Eine zentrale Hypothese unserer Arbeit ist, dass es im Verdauungstrakt lebende Archaeen gibt, die fest mit ihrem Wirt vergemeinschaftet sind – und sich somit für die Verursacheridentifikation eignen.

 

Ein umfangreiches Daten-Set entsteht

 

Studien, die sich mit dem Vorkommen von Archaeen im Verdauungstrakt befassen, nutzen meist von Menschen oder Nutztieren stammende Proben sowie Primer, die unspezifisch für verschiedene Archaeen sind. Der Erkenntnisgewinn ist dadurch stark limitiert. „Drei Viertel der von uns untersuchten Proben, die mit der Unterstützung von Gabrielle Stalder von der Veterinärmedizinischen Universität Wien gesammelt wurden, stammen dagegen von Wildtieren verschiedener Taxa, also von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen“, sagt Reischer. „Das ist einzigartig und liefert uns ein umfassendes Bild“. Bereits in der 2019 in Nature Communications veröffentlichten Studie verwendeten wir diesen Datensatz, um das bakterielle Mikrobiom verschiedener Arten zu untersuchen.

 

Was das Forschungsteam nun herausgefunden hat? In Wirbeltieren leben bislang unentdeckte Archaeen, die jetzt erstmals klassifiziert wurden und scheinbar mit einzelnen Tierarten assoziiert werden können. Dass sich Archaeen klar einer Tierart oder Gruppe von Tieren zuordnen lassen, hat zwei Gründe: Die Ernährung und den Verwandtschaftsgrad. „Je näher zwei Arten miteinander verwandt sind, desto ähnlicher ist auch ihr Mikrobiom – inklusive Archaeen“, erklärt Andreas Farnleitner.

 

Verkürzte Spurensuche

 

„Eine besondere Entdeckung ist das Archaeon Methanothermobacter“, sagt Nicholas Youngblut vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, der die Genabschnitte der Archaeen entschlüsselt hat. Methanothermobacter kommt gehäuft in Vögeln vor – dazu noch in hoher Konzentration. Eine Erklärung dafür, warum das so ist, könnte die Angepasstheit der Archaeen sein: Die Einzeller kommen vor allem in Nischen vor und sind stark angepasst. Einige Arten bevorzugen hohe Temperaturen, andere leben in sehr sauren Umgebungen oder konzentrierten Salzlösungen. „Im Vergleich zu anderen Wirbeltierklassen haben Vögel mit bis zu 42 Grad Celsius eine besonders hohe Körpertemperatur. Das scheint für dieses Archaeon von Vorteil zu sein“, sagt Georg Reischer. Erkenntnisse wie diese können in Zukunft für die Verursacheridentifikation genutzt werden, denn wirtassoziierte Archaeen sind weitaus spezifischer als herkömmliche Marker.

 

Link zur Publikation: https://www.nature.com/articles/s41564-021-00980-2

 



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Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften